Von seinem durch „Der Herr der Ringe“ verursachten Mainstream-Ruhm hat sich Viggo Mortensen in den letzten 20 Jahren schrittweise entfernt: Erst als Cronenberg-Muse („A History Of Violence“, „Eastern Promises“), danach hauptsächlich als Darsteller in Independent-Produktionen. Nach einem kurzen Ausflug zurück ins Zentrum („Green Book“) erschien 2020 mit „Falling“ Mortensens Regie-Debüt: Das sensibel erzählte Drama um einen schwulen, von seinem homophoben Vater entfremdeten Mann konnte weitgehend überzeugen. Mit dem Nachfolger „The Dead Don’t Hurt“, bei dem er auch fürs Drehbuch und den Soundtrack verantwortlich zeichnet, legt der zum Auteur gereifte Mortensen nun einen recht klassischen Western vor, der aber thematisch und auf Grund seiner Perspektive Neues zu bieten hat.
Der Film spielt zur Zeit der amerikanischen Bürgerkriege im „Wilden Westen“ und handelt von Holger Olsen (gespielt von Mortensen), einem dänischen Einwanderer, der in einem kleinen Kaff sein neues Zuhause gefunden hat, wo er sich als Zimmermann verdingt. Dort lernt er die Franko-Kanadierin Vivienne (Vicky Krieps) kennen und möchte sich mit ihr gemeinsam eine neue Existenz aufbauen. Doch der Bürgerkrieg ruft. Olsen sieht es als seine Pflicht, für die Abschaffung der Sklaverei in den Kampf zu ziehen. Vivienne bleibt widerwillig alleine zurück und wird in Olsens Abwesendheit mit sexueller Gewalt durch Weston Jeffries (Solly McLeod), den missratenen Sohn eines lokalen Unternehmers, konfrontiert, woraus ein Kind hervorgeht. Als Olsen nach Jahren zurückkehrt, hat sich Jeffries bereits abgesetzt. Als aus der Not und Schicksal geborene Patchwork-Familie leben die Drei weiter, die Rache muss warten. Olsen wird Sheriff des kleinen Ortes, doch das neu- und wiedergefundene Glück ist abermals nur von kurzer Dauer, da Vivienne schwer erkrankt. Da kehrt Weston zurück – für Olsen die Chance, endlich für Gerechtigkeit zu sorgen.
Der Story-Abriss zeigt: The Dead Don’t Hurt baut auf einen recht klassischen Western-Plot. Doch es wäre nicht Mortensen, wenn er der Geschichte nicht seinen eigenen Stempel aufdrücken würde. Das gelingt leider nur partiell.
Gelungen und interessant ist die zumindest für die Zeit, in der sie angesiedelt ist recht ungewöhnliche Liebesgeschichte zwischen Vivienne und Olsen: Beide sind eigenwillige, unabhängige Figuren, die nach Freiheit und Ungebundenheit trachten – Vivienne sucht sich einen Job im Saloon, sie will ihr eigenes Geld verdienen, Olsen verlässt die eben erst gegründete, gemeinsame Existenz, um im Krieg für seine Ideale zu kämpfen. Aufgrund dieser jeweiligen „Andersartigkeit“ und Autonomie ziehen sie sich gegenseitig an, zugleich sind Konflikte vorgezeichnet. Sie wirft ihm Egoismus vor, als er gegen die Sklaverei in den Krieg zieht, ein wohl nur bedingt akkurater Vorwurf, aus Viviennes Sicht aber nachvollziehbar: Will sie ein Leben mit Olsen, muss sie sich unterordnen, auf ihn warten. Umgekehrt muss sich auch Olsen anpassen, als er nach seiner Rückkehr mit Viviennes Sohn konfrontiert ist (wofür er sich die Schuld gibt), der nicht der seine ist, dem er aber als Vater dienen soll. Mortensen erzählt seine Geschichte mit jenem Hang zur Ambivalenz und Komplexität, die schon Falling auszeichnete.
Ein weiterer spannender Aspekt von The Dead Don’t Hurt ist die weibliche Perspektive, die der Film über weite Strecken einnimmt, für klassische Western zumindest ungewöhnlich. Zugleich macht er das aber nicht auf aufdringliche Weise, stellt Vivienne nicht plump als Opfer oder Heldin dar, sondern schlicht als starke Frau, die ihren Weg in der damaligen Gesellschaft sucht, dabei mal erfolgreich ist, dann wieder mit den Zumutungen der Zeit zu kämpfen hat.
Weniger gelungen – und das ist tatsächlich das Hauptproblem eines sonst sehenswerten Films – ist die Art und Weise, wie diese Geschichte erzählt wird: nämlich unchronologisch, über mehrere verschiedene Erzählebenen, die nicht wirklich ineinander greifen. The Dead Don’t Hurt beginnt mit der Verurteilung eines armen Sündenbocks, der für weitere Missetaten von Weston Jeffries büßen muss. Olsen sehen wir als Sheriff, gleichzeitig stirbt Vievienne. Das Feld wäre bereitet für eine klassische Rachegeschichte, in der ein moralisch integrer Mann die Gerechtigkeit in die eigenen Hände nimmt. Auch aktuelle politische Konnotationen tun sich auf. Doch dann springt The Dead Don’t Hurt plötzlich in eine Vergangenheit, die sich erst nach einer Weile als Kindheit von Vivienne herausstellt. Hinzu kommt eine weitere Erzählebene – jene, in der sie und Olsen sich kennenlernen.
So besteht der Film am Ende aus drei seperaten Geschichten, die zwar miteinander verbunden sind, sich aber nicht organisch ineinander fügen. Es hätte gereicht, den Fokus auf einen Schwerpunkt zu legen: klassische Western-Rächer-Story oder ungewöhnliche Romanze. Stattdessen wollte Mortensen beides – und damit zu viel. Das Endresultat ist etwas zu lang und langatmig geworden. Daran ändert auch nichts, dass sowohl Mortensen als auch Krieps absolut überzeugende darstellerische Leistungen zeigen.
Alles in allem ist The Dead Don’t Hurtalso eine durchwachsene Angelegenheit: Mortensens Handschrift als Film-Auteur ist sichtbar, sein Talent erkennbar, die Art und Weise, wie er komplexe Themen angeht, beachtlich und erfrischend. Trotzdem kann der Film sein Potential nicht ausschöpfen, da Aufbau und Struktur der Erzählung mangelhaft sind. Hier zeigt sich auch: Völlige kreative Freiheit ist zwar schön. Aber ohne Korrektiv nicht immer die beste Entscheidung.